Die Projektidee
Innerhalb des Projekts „R3 – Resilient, Regional, Retail in der Metropolregion Nordwest“ soll eine Plattform für den regionalen Einzelhandel und eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Versorgungs- und Logistikstruktur konzeptionell entwickelt werden, die den regionalen Einzelhandel gegenüber großen Online-Plattformen stärkt. Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit der Erlebnis Bremerhaven GmbH und weiteren Mitwirkenden an der Hochschule Bremerhaven durchgeführt. Neben dem Einzelhandel sind die regionalen Logistikdienstleister weitere Beteiligte des Vorhabens.
Vor allem der weltweite Online-Handel verzeichnet über die Jahre ein enormes Wachstum und es werden immer weniger Waren stationär angeboten. Der Transport von Gütern über weite Strecken hat negative Auswirkungen auf die Umwelt und das Transportsystem. Im Vergleich zu großen Online-Plattformen ermöglicht die geplante Digitalisierung des regionalen Warenhandels den Aufbau einer nachhaltigen Versorgungs- und Logistikstruktur, die dazu beiträgt, Emissionen zu reduzieren und Verkehrsstaus zu vermeiden.
Gegenüber dem Online-Handel lassen sich drei wesentliche Wettbewerbsvorteile identifizieren:
1. Nachhaltigkeit und geografische Verbundenheit (Regionalität, Umwelt, Arbeitsplätze)
2. Kompetente Beratung
3. Individuelle Lieferung (Same Day Delivery, Wunschzeit, Wunschadresse etc.)
Im regionalen Logistikkonzept können weitere Effizienzvorteile erreicht werden, die zu Emissionsreduktionen und zur Verkehrsvermeidung beitragen. Durch intelligente Algorithmen können Bündelungseffekte genutzt werden. Der Einsatz von umweltfreundlichen und effizienten Transportmitteln, wie elektrischen Lastenrädern, kann diese Effekte verstärken.
Im Grunde ist die Idee, den regionalen Handel durch regionale Online-Plattformen zu unterstützen, nicht neu. An technischen Hindernissen und großem Aufwand der Händlerinnen und Händler, scheiterte die Umsetzung meist. Deshalb konzentriert sich das R3-Projekt auf grundlegende Cloud-Dienste wie Schnittstellen, um die Nutzung für die regionalen Handelsunternehmen effizient zu gestalten. Dabei wird auf die Ergebnisse des Forschungsprojekts „NaCl-Nachhaltige Crowdlogistik“ zurückgegriffen. In diesem Projekt wurden gemeinsam mit Weser Eilboten und der Rytle GmbH innovative Logistikkonzepte und digitale Lösungen entwickelt, um durch den Einsatz nachhaltiger Verkehrsmittel wie Lastenfahrräder und Methoden der Crowdlogistik einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele Bremens und Niedersachsens zu leisten.
Ziele des Projektes
Das Hauptziel des Forschungsvorhabens ist die Konzeption und das softwaretechnische Design einer regionalen Einzelhandelsplattform für eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Versorgungs- und Logistikstruktur für die Metropolregion Nordwest. Dabei soll die Plattform die Prinzipien der Nachhaltigkeit, Fairness und Regionalität verfolgen. Sowohl auf Seiten der Endkundinnen als auch der Einzelhändlerinnen wird eine herausragende Customer Experience angestrebt.
Bezogen auf den regionalen Einzelhandel wird eine Stärkung der Umsetzung von Digitalisierungspotenzialen und der regionalen Zusammenarbeit zwischen Einzelhandel und Logistikdienstleistern erzielt. Durch die Implementierung des Sustainability Customer-Relationship-Management (SusCRM) wird eine auf Nachhaltigkeit zentrierte Ausrichtung auf die Kundenbeziehungen erreicht.
Als konkretes Forschungsergebnis sollen die Anforderungen an eine Plattform aus Sicht unterschiedlicher Stakeholder wie Handelstreibende, Logistikdienstleister, Endkund*innen, aber auch Städte und Kommunen, erfasst werden. Darüber hinaus werden sinnvolle Betreiber-Modelle für die Einzelhandelsplattform identifiziert. Es ist vorgesehen, punktuelle Pilotanwendungen durchzuführen und einen wissenschaftlichen Austausch der Forschungsergebnisse zu pflegen.
Das Ziel ist es, nach der Konzipierung auch an einer technischen Umsetzung der Plattform zu arbeiten. Bei einer erfolgreichen Einführung in der Metropolregion könnte das Projekt als Blaupause für andere Regionen dienen und die regionalen Wirtschafts- und Versorgungsstrukturen dauerhaft stärken.
Nachhaltigkeitseffekte
Im Hinblick auf eine nachhaltige Mobilität haben der stationäre und der Online-Handel entscheidende Bedeutung:
- Der immer noch stark wachsende Online-Handel geht mit einem starken Wachstum an Lieferverkehren in Städten und Kommunen mit entsprechenden gravierenden Auswirkungen auf das Verkehrsgeschehen einher. In diesem Zusammenhang wurde bspw. unter bestimmten Annahmen konstatiert, dass mit 5 Prozent Anstieg des E-Commerce Marktanteils am gesamten Einzelhandelsvolumen in Deutschland zusätzlich ein Bedarf von 8000 Fahrzeugen für die Auslieferung entstehen würde.1
- Gleichzeitig erhöht der stationäre Einzelhandel das Verkehrsaufkommen insbesondere in Innenstädten und erfordert bspw. einen hohen Flächenbedarf für Parkraum, weil das präferierte Verkehrsmittel beim Einkaufen bei über 60 Prozent der Privatkund*innen der PKW2 ist und der PKW-Bestand seit Jahren stetig zunimmt. Die CO2-Emissionen einer Sendung per Lastenrad sind dabei bis zu 84 % geringer als bei einer Abholung durch die Kundschaft im Einzelhandel (durchschnittlicher Mobilitäts-Mix).3
In R3 werden beide Aspekte insofern adressiert, dass eine nachhaltige Auslieferung durch vorzugsweisen Einsatz von Lastenfahrrädern sichergestellt wird, die wesentlich geringere Auswirkungen auf das Verkehrsgeschehen haben als heute eingesetzte Kurier-Express-Paket (KEP)-Fahrzeuge (bspw. auch durch das sog. Zweite-Reihe-Parken). Hierzu kann auf Vorarbeiten des Vorprojekts „NaCl – Nachhaltige Crowdlogistik“ (https://nachhaltige-crowdlogistik.org/) zurückgegriffen werden. Das Forschungsprojekt der Hochschule Bremerhaven hat mit der Rytle GmbH und der Weser Eilboten GmbH bereits eine Reihe tragfähiger Konzepte entwickelt und erprobt, um einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele in Bremen und Niedersachsen zu leisten. Regionale Logistikkonzepte und insbesondere der Ansatz eines regionalen (singulären) Logistikdienstleisters bringen große Effizienzvorteile und tragen zur Reduktion von Emissionen und zur Verkehrsvermeidung bei. Unter Zuhilfenahme intelligenter Algorithmen lassen sich Bündelungseffekte nutzen, z. B. auf der Produktebene. Durch den konsequenten Einsatz von umweltfreundlichen und effizienten Transportmitteln in Kombination mit einem innovativen Logistikkonzept, wie elektrischen Lastenfahrrädern mit Micro-Hub-Struktur, lassen sich die Nachhaltigkeitseffekte noch enorm verstärken.4
(1) DIW (2001): abrufbar unter: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.360081.de
/diw_eb_2001-10-3.pdf
(2) StMWi (2014): abrufbar unter: https://www.coburg.ihk.de/media/innerstaedtischer_verkehr_und_handel1.pdf
(3) Borowski, J., Meier, L., Wagner vom Berg, B. (2019): Comparative quantification of GHG-emissions from stationary retail and e-commerce. Enviroinfo 2019. Shaker Verlag, Aachen.
(4) Kühne, U., Leibenath, M., Rau, C., Schulte, R., Wöltjen, L., Schopka, K., Krüger, L., Wagner vom Berg, B. (2020): Sustainable processes on the Last Mile – Case study within the project ‘NaCl’. In: Kamilaris et al.: Advances and New Trends in Environmental Informatics – Digital Twins for Sustainability. Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg.
Projektablauf
Das Forschungsprojekt „R3 – Resilient, Regional, Retail in der Metropolregion Nordwest“ verfolgt eine konkrete Arbeitsplanung, um die Erreichung der gesteckten Ziele zu gewährleisten. Aus diesem Grund wurde das Projekt in fünf Arbeitspakete unterteilt.
Zunächst ist eine Erfassung des IST-Zustands der regionalen Wertschöpfung in ausgewählten urbanen und ruralen Gebieten der Metropolregion Nordwest vorgesehen. Dazu wird einerseits die Situation des stationären Handels und regionaler Dienstleitungsunternehmen sowie deren Aufstellung im Online-Markt erfasst und ausgewertet. Im Rahmen von Datenerhebungen sollen die Auswirkungen des Online-Handels auf den stationären und das Einkaufsverhalten der Bevölkerung ermittelt werden. Im Weiteren wird die Versorgungslage im urbanen und ruralen Raum untersucht. Mithilfe von vorhandenem Daten- und Literaturmaterial, Umfragen sowie Expertiseinterviews sollen Informationen zu Versorgungsfahrten, Demographie, regionaler Waren- und Dienstleistungsverfügbarkeit und den Stärken des stationären Einzelhandels der jeweiligen Gebiete analysiert werden.
In einem zweiten Arbeitspaket werden die Anforderungen einer Einzelhandelsplattform mit angeschlossener Logistikstruktur ermittelt und definiert. Die Erfassung und Analyse bereits existierender regionaler Einzelhandelsplattformen und von gescheiterten Plattformsystemen soll zur Ableitung von kritischen Erfolgsfaktoren verhelfen. Außerdem werden die Anforderungen an die Akzeptanz durch Händler und Endkonsumenten untersucht, sodass eine Auswahl sinnvoller Betreibermodelle bestimmt werden kann. Bezogen auf die Erarbeitung einer regionalen Versorgungs- und Logistikstruktur sollen die Erfordernisse sowohl für den städtischen als auch den ländlichen Raum abgebildet werden. Die Untersuchung umfasst die Einbeziehung von Logistikdienstleistern, geeigneten Transportmitteln, Effizienzsteigerungspotenzialen und Hub-Strukturen. Weitergehend wird geprüft, inwiefern eine logistische Verbindung des stationären Einzelhandels mit der Kundschaft durch z.B. Mobilitätsangebote wie öffentliche Personennahverkehre und Click-&-Collect-Dienste ermöglicht werden kann.
Ein weiteres Arbeitspaket umfasst die Konzeption einer digitalen Einzelhandelsplattform. Dabei werden die Erfordernisse an IT-Infrastruktur und Anwendungssoftware sowie an notwendige Schnittstellen der Plattform und zum Einzelhandel definiert. Die Funktionalitäten der Warenwirtschaft wie Warenflusssteuerung, Datenbereitstellung, Produktverfügbarkeit, Zahlung und Versand werden abgebildet. Des Weiteren stellt sich die Frage wie digitale Prozesse wie Beratung, Bestellung, Bündelung und Lieferung innerhalb der Plattformstruktur implementiert werden können. Die Konzeptionierung erfolgt unter Einbeziehung der Perspektiven der stationären Einzelhändler, Logistikdienstleister sowie der Kommunen und Städte.
Das vierte Arbeitspaket bildet den Softwareentwurf der geplanten Einzelhandelsplattform ab. In einem Lastenheft werden die Anforderungen an die softwaretechnische Umsetzung und die angebundene Versorgungs- und Logistikstruktur festgelegt. Mögliche Softwaretools werden evaluiert und auf Kompatibilität mit dem geplanten Konzept geprüft. Innerhalb von punktuellen Pilotanwendungen bestimmter Konzeptelemente soll ein direkter Mehrwehrt für den Einzelhandel entstehen und eine Basis für eine nachfolgende Implementierung des regionalen Online-Marktplatzes geschaffen werden.
Während der Projektdurchführung wird ein wissenschaftlicher Austausch und die Kommunikation der Erkenntnisse gepflegt. Die Projekt- bzw. Projekteilergebnisse werden der wissenschaftlichen Community zur Verifizierung bereitgestellt. Dazu sind Publikationen und Konferenzteilnahmen im Bereich der Umweltinformatik vorgesehen. Durch Netzwerkbildung und Öffentlichkeitsarbeit wird die Zusammenführung von Stakeholdern aus Handel, Dienstleistung und Logistik angestrebt.